Sonntag, Dezember 25, 2005

Rückschau

Für mich geht ein dermaßen ereignis- und lehrreiches Jahr zu Ende, daß ich meiner Überzeugung kaum folgen kann, daß das nächste noch toller werden wird.

Im ersten Halbjahr arbeitete ich sehr viel an mir selbst, führte vereinzelte Gespräche, arbeitete mal hier, mal da, ohne aber wirklich einen Zug in meinen Aktivitäten zu spüren. Klar war ich jeden Tag aktiv, hatte immer was zu tun, die Zielrichtung war hingegen selten klar.
Unter anderem nahm ich an einem Projekt in Oberhausen teil, das sich "Gründen im Team" nannte und - wie der Titel schon sagt - gemeinsam erarbeitete Selbständigkeiten zum Ziel hatte. Nachdem ich zunächst wie es so meine Art ist, ziemlich zurückhaltend mitarbeitete, outete ich mich nach etwa zwei Dritteln des auf drei Monaten angelegten Prozesses mit einem eigenen Thema und verwandte ab da mehr Zeit für das, was ich wirklich wollte - und enthielt meine konstruktive Mitarbeit ab da der Gruppe, in der ich bis dato arbeitet, vor. Nachdem ich dann ziemlich intensiv an einem Businessplan arbeitete, kam ein recht gutes Papier zum Thema CSR-Beratung (Corporate Social Responsibility - aktive Teilhabe von Unternehmen am Gemeinwohl) heraus, das ich auch vor einigen Gremien mit Bänkern, Vertretern von Wirtschaftsförderungen, Agenturen für Arbeit, IHKs und HWKs präsentierte. Alle fanden das immer sehr überzeugend.
Birgit half mir dann entscheidend dabei, diesen Plan auch von meiner Agentur für Arbeit anerkennen zu lassen - falls das mal jemand von Euch vor hat: Birgit ist die Beste dabei!
Als ich dann mit meinen Anliegen Gespräche führte, erstmal, um den Markt, andere Anbieter und mögliche Kooperationspartner kennenzulernen, merkte ich schnell, daß ich das eigentlich gar nicht lebe. Ich kann das gut, weiß sehr viel darüber, es sind auch einige der Tätigkeiten enthalten, die ich gerne mache, aber so richtig Feuer spüre ich nicht dabei. Klar wurde mir das spätestens, als ich in einem konkreten Projekt für die Deutsche Post mitarbeitete und dieses immer weiter vor mir herschob ;-)
Tja, was dann?
Erstmal fiel ich in ein großes Loch. Das war im August. Da war plötzlich überhaupt nichts mehr, keine Zuversicht, keine Ideen, keine Lust, keine Kraft. Nur Frustration. All das kam auch daher, weil ich - wie Ihr ja mitbekamt - eine Absage auf einen Job erhielt, den ich damals gerne gemacht hätte - zu gern für den potentiellen Arbeitgeber. :-)))
Wunderbarerweise hatte ich Euer aller Feed-back, das mich auf so viele neue Gedanken brachte.
Allein, im August wußte ich noch immer nicht weiter.
Von Maja hörte ich dann von einer Tagung in Hamburg. Es ging um kulturelle Bildung in Europa. Ich meldete mich und zwei Freundinnen an, fuhr hin, bekam ne Menge Eindrücke, gar ein paar wenige Kontakte. Erlebte Maja und Kerstin bei Ihrer Arbeit mit der Schultanzgruppe - die an diesem wunderbaren Projekt mitarbeiteten, ganz nah oder sogar an dem, was sie wirklich wollen. Welch emotionalen Momente das waren, werde ich nie vergessen.
Danach, es war noch immer August, passierte zwar auch erstmal nichts, aber im September begann ich auf eine Weise aktiv zu werden, ungeplant, unvorhergesehen, noch immer nicht wissend, wie es kam, die bis heute anhält und mir kaum noch Zeit zum Durchatmen ließ.
Ich fuhr heftigst durch die Gegend, führte eine Masse an Gesprächen (über 40), besuchte Tagungen, Kongresse, Seminare, lernte viel Leute kennen und begann, immer mehr und unbewußt auf meinen Bauch zu hören und danach zu handeln. Was passiert war, dass vieles, fast alles, leicht fiel, es passierten gar wunderbare Dinge von allein.
Ich lernte so so viel, bildete mich weiter, entwickelte mich.
Und in all dem kamen dann plötzlich Leute und fragten, ob ich nicht dieses oder jenes tun könnte für sie. Klar konnte ich. Ich organisierte hier ein bisschen mit, führte dort ein Interview, lektorierte, moderierte und machte manches andere. Ich hatte gut zu tun, machte Dinge, die mir Spaß machen, bekam sogar Geld dafür oder entsprechende Gegenleistungen und realisierte dann irgendwann: Hey, ja, ich bin selbständig.
Jetzt habe ich im Augenblick zwar nur einen richtigen Auftraggeber (die Bundeszentrale für politische Bildung), in deren Projekt ich bis Ende Februar gut zu tun habe, rühre aber in vielen Töpfen, kreiere Ideen, Projekte und mögliche Kooperationen.
Und arbeite gerade an einem griffigen Profil, mit dem ich mich und meine Kompetenzen all jenen anbieten kann, die ich kennenlernte, eh ich mich selbständig nannte.
Und es waren so so viele wunderbare Momente in den letzten Monaten: Als wir in einer subversiven Aktion als Angriff auf die deutsche Depression im Bannkreis in Berlin, direkt zwischen Paul-Löbe-Haus und Kanzleramt, eine Trauerweide pflanzten, unangemeldet. Sie steht da noch heute. Als ich merkte, wie sich einzelne Ideenfäden zusammenfanden und andere Menschen diese interessierten. Als ich einfach von mir selbst sprechen konnte, ohne irgendein Bild zu verfolgen, das ich von mir herumtrug. Als ich mal wieder an einem Open Space teilnahm, in Berlin, zum Thema "Practice of Peace" und wunderbare Menschen aus der ganzen Welt kennenlernte. Im Fluß war. Mit Menschen zusammenwar, die ich schätzte und es nicht mehr um Personen, sondern nur noch um die Sache ging, um Ideen und Projekte. Als ich tatsächlich auch mal so richtig mein Szenario verfolgte und einige Menschen im Musikbusiness kennenlernte (wo ich zwar keine Perspektiven habe - aber ein paar konkrete Vorschläge), und dann bspw. der Generalsekretär des Dt. Musikrats während einer Veranstaltung - auf der ich meinen inneren Schweinhund überwand und vor dem kompletten Plenum per Mikrofon einmal meiner Meinung Luft machte - auf mich zukam und mich nach meiner Ansicht fragte. Sich Leute bei mir für meine Äußerungen bedankten. Als ich eine weitere Absage von einem Projekt bekam, an dem ich so gerne mitgearbeitet hätte (droppingknowledge.org), aber zwei nette I-Gespräche führte und es okay so ist. Als ich loslassen konnte und alles leichter war. Als ich vier Monate meinen lieben Coach nicht mehr anrief und seine tollen Fragen nicht vermisste und nicht benötigte. Als ich zu Weihnachten Post von Leuten bekam, die ich seit zwei Jahren nicht mehr sprach, die immer noch an mich denken. Als ich nach nur kurzem Auftenthalt trotz Essenseinladung das Frank O. Gehry-Haus am Pariser Platz in Berlin verliess, weil ich besseres als Small Talk zu tun hatte. Und ich vorgestern von meiner Buchhändlerin den neuen Irving bekam, der erst im Februar erscheint (und den sie schon voller Begeisterung anlas und kaum hergeben konnte), weil sie weiß, daß ich seine Romane sehr schätze. Als ich von einem Beratungsunternehmen gefragt wurde, ob ich unter ihrem Dach arbeiten möchte, unter ihrem Namen, auf eigene Rechnung.
All das klingt natürlich sehr gut, was dieses Mal anders ist, ist, dass ich weiß, dass dies einfach eine gute Phase ist, der eine schwierige wieder mal folgen kann.
Und ich habe gelernt, dass ich gar nicht mehr so viel Input brauche, sondern schon ganz ganz viel drauf habe, das ich anderen geben kann. Die genau das möchten oder brauchen.
Mal schaun, wie das weitergeht...
Morgen verschwinde ich mit meiner Lebensgefährtin erstmal für zwei Wochen in die Ferne und freue mich schon jetzt unbändig auf das neue Jahr (ich finde, eine 6 lässt sich viel besser schreiben als eine 5 ;-) und all das, was passieren wird.


Es ist etwas Gutes,

Chris